San Pedro – Stadt der Gefangenen Mentertainment

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Über 2000 Häftling und das praktisch unbewacht. In San Pedro leben Gefangene in ihrer eigenen Stadt und sind vollkommen sich selbst überlassen. Das größte Gefängnis in Bolivien ist mittlerweile so populär, dass es sogar von Touristen besucht wird.

Wer sich erstmals in der Gefängnisstadt San Pedro aufhält, der könnte glauben, es handle sich einfach um einen normalen Stadtteil von Boliviens Hauptstadt La Paz. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass es sich hier um ein Gefängnis mit mittlerweile 2000 Insassen handelt. Wärter oder Ähnliches sucht man im Inneren jedoch vergebens. Das gesamte Gefängnis ist von einer Mauer umgeben, wobei alle Personen im Inneren sich praktisch selbst überlassen sind. Lediglich das Verlassen von San Pedro wird durch Wärter verhindert. Aufgrund dieser Tatsache hat sich in dem Gefängnis in den vergangenen Jahren eine eigene Hierarchie entwickelt. Die Gefangenen regieren sich selbst, was erwartungsgemäß nicht immer gewaltfrei vonstattengeht. Auch der Drogenhandel floriert im Inneren von San Pedro.

Boliviens innovativer Ansatz

Aus deutscher Sicht erscheinen die Zustände innerhalb von San Pedro mehr als fremd. Da hier praktisch das Recht des Stärkeren herrscht, wird das Gefängnis von vielen Menschenrechtlern kritisiert. Hinzu kommt, dass schon kleine Vergehen ausreichen, um in einem Ort wie San Pedro zu landen. Seit einigen Jahren geht die bolivische Regierung hart gegen den Drogenhandel vor und sperrt jeden ein, der mit diesem in Verbindung gebracht wird. Viele Experten glauben deshalb auch, dass eine Gefängnisstadt wie San Pedro vor allem ein günstiger Ausweg für Bolivien ist. Die Gefängnisse des Landes sind hoffnungslos überfüllt und kosten den Staat viel Geld. In San Pedro sollten eigentlich nur 300 Häftlinge einsitzen, aufgrund des neuen Ansatzes passen nun aber 2000 in die Anlage. Für die Regierung selbst ist dies ein innovatives Vorgehen, das vermutlich einiges an Geld spart. Lediglich die Lage des Gefängnisses ist ein Problem. San Pedro befindet sich inmitten des Stadtzentrums von La Paz und damit in einer sehr stark nachgefragten Lage. Schon mehrfach hat die Regierung den Plan ins Auge gefasst, das Gefängnis zu verlegen, um die Grundstücke verkaufen zu können.

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Sträflinge zahlen Miete

Im Gegensatz zu normalen Gefängnissen erheben einige Insassen im Inneren von San Pedro Anspruch auf die Wohnungen. Wer vernünftig übernachten möchte, muss sich entweder eine Wohnung kaufen oder mieten. Bezahlt wird dabei in Dollar. Wie hoch die Preise sind, hängt von der Zahl der Insassen ab. Bei voller Belegung steigen die Preise stark an, während eine größere Anzahl von Entlassungen sinkende Preise zufolge hat. Wer kein Geld hat, dem bleibt nur das Übernachten im Slum. Hier herrschen die schlimmsten Bedingungen in San Pedro und die Wahrscheinlichkeit, aufgrund von Gewalt oder Krankheit zu sterben, ist am höchsten.

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Ein Präsident für die Gefangenen

Wie in anderen Städten auch wird das Zusammenleben durch Gesetz geregelt. Wichtig ist dabei vor allem der Verbot von Diebstahl und der Schutz von Frauen. Wer diese Regeln missachtet, kann schnell einige Probleme bekommen. Die oberste Macht in San Pedro hält der Präsident. Dieser wird einmal im Jahr gewählt, ähnlich wie in einer normalen Stadt. Jedes Jahr bewerben sich mehrere Kandidaten auf den Posten und es gibt sogar einen richtigen Wahlkampf. Gemeinsam mit dem Schatzmeister verwaltet der Gewinner anschließend die Einnahmen aus dem Kokainhandel und bestimmt beispielsweise über die Renovierungsarbeiten.

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Familienbesuch erwünscht

Im Gegensatz zu Deutschland müssen viele Gefangene zudem nicht auf ihre Familien verzichten. In vielen Fällen ziehen diese sogar einfach mit in die Stadt, sodass es gar nicht ungewöhnlich ist, in San Pedro Kinder anzutreffen. Der Zugang für Nicht-Häftlinge ist dabei in weiten Teilen unbeschränkt, sodass am Tor ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Tagtäglich werden zudem Nahrungsmittel und andere alltägliche Dinge in das Gefängnis geschafft, um Restaurants und Geschäfte am Laufen zu halten. In der Regel lässt die Gefängnisleitung dies ohne Probleme zu. Lediglich Waffen, Mobiltelefon und Handys dürfen nicht mit in das Innere genommen werden.
Für die etwas reicheren Bewohner gibt es sogar einen separaten Eingang. Aus diesem Grund sind Gebäude an den Wänden der Grenzmauern besonders beliebt. Sie erlauben eine eigene Tür, sodass die Besucher nicht mit anderen Gefangenen in Kontakt kommen.

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Tourismus im Gefängnis

Die gestiegene Aufmerksamkeit der Gefängnisstadt führte mittlerweile sogar zu einer Art Touristenhype. Nach der Jahrtausendwende ließen sich Rucksacktouristen von englischsprachigen Insassen durch das Gefängnis führen und die Begebenheiten erklären. Nicht selten gab es als kleinen Abschluss auch gleich noch eine Prise Koks. Der australische Autor Rusty Young verbrachte sogar gleich ganze drei Monate in der Gefängnisstadt und schrieb am Ende ein Buch über seine Erfahrungen.

Gerade der offene Umgang mit Drogen führte in den letzten Jahren jedoch dazu, dass die Gefängnisleitung ein paar Regeln verschärfte. Besucher müssen heute sowohl ihren Pass am Eingang abgeben, als auch erklären, welchen Gefangenen sie besuchen. Wirklich effektiv sind diese Regeln jedoch kaum. Da lediglich beim Einlass eine Kontrolle vorgenommen wird, verlassen nicht wenige Touristen San Pedro mit einer Tüte Kokain im Gepäck.

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