Über 1.300 deutsche Soldaten hatten Mitte September den Auftrag deutsche und ausländische Staatsbürger aus der Krisenregion Bogaland zu evakuieren. Bei den Übungen „Northern Coast“ und „Schneller Adler“ waren insgesamt rund 3.000 Soldaten aus 12 Nationen in Schweden und auf der Ostsee beteiligt.
Der fiktive Staat Bogaland hat vier Jahre Bürgerkrieg hinter sich, hervorgerufen durch ethnische Konflikte zwischen zwei christlich geprägten Volksgruppen. Durch diese Konflikte wurde das Land gespalten, zwar herrscht seit fünf Monaten Waffenstillstand, dieser wird jedoch von beiden Parteien nur bedingt unterstützt. Die Lage auf dem Festland ist zwar relativ stabil, dies ist auf der Insel Gotland allerdings nicht der Fall. Die Sicherheit der ausländischen Staatsbürger, die zwischen den verfeindeten Ethnien leben, kann vom Staat nicht mehr gesichert werden. Diese Aufgabe wurde von den Milizen – in ihrem Sinne – übernommen. So ist Korruption, Schmuggel, organisierte Kriminalität und Piraterie mittlerweile zum Alltag der Insel geworden. Zwar haben viele ausländische Staatsbürger die Insel bereits verlassen, dennoch kommt es zu zahlreichen Überfällen und sogar zu Entführungen mit Lösegeldforderungen. Eine gefahrlose Ausreise ist nicht mehr möglich und die Bundesregierung hat mit Bogaland vereinbart, dass die restlichen ausländischen Staatsbürger militärisch evakuiert werden.
Die Militärische Evakuierungsoperation (MilEvakOp) steht mit dem strategischen Lufttransport, der geplant wurde, vor einer Herausforderung, da dieser erstmals nach langer Zeit wieder real durchgeführt wird, so berichtete es der Kommandeur der Einsatzkräfte MilEvakOp, Oberstleutnant Eiko Zuckschwerdt. Der „Schnelle Adler“, die Spezialisten der Luftlandebrigade 26, sind alarmiert und beginnen umgehend mit der Vorbereitung der MilEvakOp, denn es bleiben ihnen nur noch zwölf Tage, bis es los geht. Die Fallschirmjäger des Fallschirmjägerbataillons 263 aus Zweibrücken bilden den Kern der Operation. Diese werden von Feldjägern, Fernmeldern, OpInfo- und EloKa-Soldaten, Sanitäts- und Logistikpersonal unterstützt. Dazu kommen noch die Besatzungen und die Techniker der Luftfahrzeuge. Das sind drei Transall mit fünf Besatzungen und vier Transporthubschrauber CH-53. Die Großraumtransportflugzeuge bringen das Material vom Flugplatz in Leipzig nach Bogaland, was durch Auflagen des neuen Luftsicherheitsgesetzes der EU wie bereits von Zuckschwerdt berichtet, eine besondere Herausforderung darstellt.
Nach der Landung auf dem Flughafen Örebro werden rund 480 Tonnen Material zügig von den Spezialisten entladen. Danach geht es weiter auf dem Landweg ins 120 Kilometer entfernte Linköping. Außerdem muss eine Operationsbasis errichtet werden. Als vorgeschobene Einsatzbasis (FMB = Forward Mounting Base) dient ein bogaländischer Militärstützpunkt auf dem Festland. Innerhalb 48 Stunden errichtet Zuckschwerdt mit 220 Soldaten ihre vorgeschobene Operationsbasis (FOB = Forward Operating Base) im Norden der Provinz und Inselhauptstadt Visby für die Evakuierung.
Gegen 7.40 Uhr an einem Morgen startet in Linköping die Transall, an Bord befinden sich 21 Mann des Fallschirmspezialzuges des Fallschirmjägerbataillons 263. Ihr Auftrag ist es, den Sprungeinsatz der Hauptkräfte vorzubereiten. Als Vorauskräfte müssen sie eine Drop-Zone für die Hauptkräfte sichern. Nach 30 Minuten Flugzeit springen die Vorauskräfte in 1.200 Metern Höhe ab und sie landen in der Drop-Zone unweit der örtlichen Bevölkerung. Dort haben sie nur eine Stunde Zeit für die Annäherung, Sicherung und den Aufbau der Einsatzleitgruppe (=ELG), von wo der Sprungeinsatz der Hauptkräfte koordiniert wird, denn die Hauptkräfte kommen pünktlich. Nach einer Stunde nähern sich zwei Transall. Nach drei Anflügen sind 75 Fallschirmjäger und ihre Ausrüstung abgesetzt. Diese machen sich nach der Landung sofort auf den Weg zum ein Kilometer entfernten Sammelpunkt.
Die Evakuierung deutscher Staatsbürger durch Fallschirmjäger
Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt wird von Mitarbeitern der Deutschen Botschaft aus Visby das Gemeindehaus in Stora Tollby geöffnet. Sie nehmen die etwa 30 ankommenden Deutschen und EU-Staatsbürger auf, kontrollieren ihre Pässe, notieren sich die Personaldaten und vergleichen sie mit Meldelisten der Botschaft. Auch hier werden die Passagiere, wie bei einem normalen Flug, nach gefährlichen Gegenständen und Waffen durchsucht und das Gepäck wird gewogen, denn es ist auf 10 Kilogramm begrenzt. Nun ist Sammelpunkt 1 aktiviert und die Einsatzkräfte rücken schnell zu diesem vor, um einen Sicherungsring aufzubauen. Bereits am frühen Nachmittag ist die erste Evakuierung geschafft. Die ersten 28 Echos, wie die zu evakuierenden militärisch genannt werden, werden vom Transporthubschrauber CH-53 nach Visby geflogen, von wo es weiter zur FMB auf dem Festland geht. Die Lage am ersten Tag war ruhig und die Evakuierung war ruhig und verlief nach Plan. Insgesamt muss die Übung ca. 150 Echos aus vier Sammelpunkten evakuieren.
Jedoch haben die Probleme nicht lange auf sich warten lassen, denn es hat sich schnell herumgesprochen, dass ausländische Staatsbürger durch Soldaten evakuiert werden. So kündigen örtliche Milizen an, dass sie künftige Evakuierungseinsätze behindern wollen, weswegen die Lage am zweiten Evakuierungstag nicht mehr ganz so ruhig ist. Das Szenario ist das Gleiche, wie am ersten Tag: die Kräfte der Schnellen Luft-Evakuierung (SLE) kommen mit Hubschraubern zum Einsatz. Jedoch treffen sie jetzt auf erste, absichtlich durch Milizen verletzte, Echos, die medizinisch versorgt werden müssen. Doch glücklicherweise funktioniert die Rettungskette reibungslos. Mit der medizinischen Erstversorgung vor Ort beginnen die Combat First Responder. Ein Arzt und Sanitäter der Landungsrettungsstation bereiten sich in der FOB auf die Aufnahme, weitere Versorgungen und den MedEvac-Flug der Verletzten zum Festland vor. Jedoch erwartet Zuckschwerdt und sein Team am Abend gleich noch eine neue Hiobsbotschaft: Am nächsten Morgen streiken die Fluglotsen, wodurch die Luftbrücke zum Festland unterbrochen sein wird, weswegen dringend ein neuer Plan her muss. Retter in der Not ist die Marine mit Hauptquartier in Karlskrona. Zur Unterstützung der Evakuierungsoperation werden der Tender „Elbe“ mit Marinesicherungskräften und das Minensuchboot „Grömitz“ abgestellt. Der Seeweg zur Bucht von Kappelshamn im Norden der Insel wird durch die Einheiten der Marine abgeriegelt und liegt in völliger Dunkelheit. Gleichzeitig such die „Grömitz“ die Bucht und den Hafen nach Minen ab. Nachdem die Nachricht „Minenfrei“ verkündet worden ist, bezieht der Tender „Elbe“ seine Position, die sich Mitten in der Bucht befindet. Der Hafen ist nun Evakuierungspunkt. Überall im Hafen befinden sich Marineschutzkräfte in Schlauchbooten, die ihre Stellung bezogen und eine Sicherung aufgebaut haben.
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Etwa zeitgleich sind wieder die Kräfte der SLE, im 15 Kilometer entfernten Bunge, aktiv. Es kam zu einer Geiselnahme von 15 Echos durch die Milizen, die in einem Hangar festgehalten werden. Es kommt zu Verhandlungen über das Lösegeld zwischen dem Milizenführer und dem Führer der SLE. Währenddessen umstellen 60 Fallschirmjäger den Hangar, jederzeit bereit, die Echos freizukämpfen. Am Ende verläuft die Situation glimpflich. Die Echos kommen für 700$ Lösegeld pro Person frei, statt für die geforderten 8.000$. Mit dem CH-53 werden die Echos nach Kappelshamn geflogen, wo sie dann in die Obhut der Marine gegeben werden.
Am vierten und letzten Tag lassen die Planer der Übung die Situation noch eskalieren. Es kommt zu Konfrontationen mit den Milizen, überall rattern Schnellfeuergewehre und MGs. Ein Heli ist ausgefallen, weil er unter Beschuss stand. Es gibt Verletzte. Aber auch dieses Hindernis meistert die MilEvakOp und letztendlich werden auch die letzten Echos sicher zum Festland gebracht.
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Bilder: Y/Vennemann
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