Die „Blue-Train-Wette“: Bentley gegen Luxuszug Mentertainment
Der Beginn des 20. Jahrhunderts stand im Zeichen des Duells Auto gegen Eisenbahn. Vor fast genau 85 Jahren gelang dem Bentley Speed Six dabei ein entscheidender Erfolg. Doch wie viel Wahrheit steckt wirklich hinter der Blue-Train-Wette?
Der PKW ist heute das dominierende Transportmittel überhaupt und niemand würde ernsthaft argumentieren, dass ein Zug im Gesamtpaket mit dem Auto mithalten kann. Vor 85 Jahren sah diese Sache allerdings noch ganz anders aus. Damals reisten die Menschen vorzugsweise mit der Bahn, während Autos noch in ihren Kinderschuhen steckten. Um das Jahr 1930 herum waren Eisenbahnen der Konkurrenz auf vier Rädern haushoch überlegen. Die Tatsache, dass ein Zug Höchstgeschwindigkeit von über 200 km/h erreichen konnte, während Autos im besten Falle und mit Rückenwind auf 150 km/h kamen, konnte viele Autobesitzer jedoch nicht entmutigen. Die 20er und 30er Jahre sind geprägt von vielem spektakulären Duellen zwischen Bahn und Auto, von denen die Blue-Train-Wette sicherlich zu den bekanntesten gehört.
Von der Cote d’Azur nach Calais
Wo genau die Idee zu Blue-Train-Wette entstanden ist, lässt sich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen. Dass dabei womöglich das eine oder andere alkoholische Getränk involviert gewesen sein müsste, scheint jedoch nicht unwahrscheinlich. Woolf Barnato, mehrfacher Sieger des Rennens von Les Mans und zeitweiliger Vorstandsvorsitzender von Bentley sowie dessen Kumpel Dale Bourne hatten im März 1930 genug davon, dass die Eisenbahn immer wieder als schnellstes Transportmittel der Welt bezeichnet wurde. Vor allem der Train Bleu, ein damaliger Schnellzug zwischen Calais und Menton an der Cote d’Azur schien dem Millionär ein Dorn im Auge. Ganze 200 Pfund Sterling, nach heutigem Stand über 10.000 Euro, wettete Barnato, dass er mit seinem Speed Six die Bahnstrecke schneller bewältigen konnte, als der Zug. Um den Einsatz noch weiter zu erhöhen, behauptet Barnato nicht nur, dass er die Strecke schneller fahren könnte, sondern dass er es in der vorgegebenen Zeit sogar bis zu seinem Club in London schaffen würde.
Um dem Erfolg zu garantieren, wurde nichts dem Zufall überlassen. Als Rennfahrer wusste Barnato, dass der Benzinnachschub ein wichtiger Faktor bei dem Rennen werden würde. Daher lies er nicht nur dafür sorgen, dass eine Tankstelle in Lyon über Nacht geöffnet blieb, er bestellte zudem einen Tanklaster nach Auxerre südlich von Paris. Darüber hinaus trug der Wagen selbst noch einige Kanister mit sich, um auch im Notfall gerüstet zu sein. Wie so oft bei guten Plänen funktionieren sie in der Theorie meist hervorragend, die Realität sieht jedoch oft ganz anders aus.
Das Wetter sorgt für Probleme
Die Blue-Train-Wette begann am Abend des 13. März. Woolf Barnato und Dale Bourne starteten gemeinsam, wobei Barnato zunächst einmal am Steuer saß. Schnell mussten die beiden jedoch feststellen, dass der Speed Six aufgrund des mitgeführten Benzins erheblich langsamer war, als zunächst geplant. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass das Auto immer wieder auf den schlechten Straßen aufsetzte, konnten die beiden nie schneller als 130 km/h fahren. Glücklicherweise erreichte der Zug aufgrund seiner vielen Wagen ebenfalls keine höhere Geschwindigekit. Später sorgte jedoch einsetzender Regen für zusätzliche Probleme. In Auxerre angekommen hatten Barnato und Bourne bereits 20 Minuten Verspätung. In ihrer Hektik müssen die beiden zudem feststellen, dass sich der gemietete Tanklaster nicht am verabredeten Punkt befand. Der Fahrer hatte innerhalb der Stadt geparkt und nicht wie ursprünglich vorgesehen außerhalb. Die Suche nach dem Laster kostet die Fahrer wichtige Minuten, sodass der Speed Six bei seiner Ankunft in Paris bereits eineinhalb Stunden hinter der geplanten Zeit lag. Als auf der Strecke dann auch noch ein Reifen platzte, schien der Sieg der Blue-Train-Wette in weiter Ferne.
Doch Barnato und Bourne bleiben im Anschluss vom Pech verschont. Sie erreichen die Fähre nach Folkestone gerade noch rechtzeitig, um im England sogar als Erste von Bord fahren zu können. Exakt 15.20 Uhr parkte Barnato den Speed Six vor seinem Club in der St. James Street in London, genau vier Minuten später fuhr der Zug im Bahnhof von Calais ein. Die Blue-Train-Wette war gewonnen.
Wahrheit vs. Fiktion
Über die Jahre hinweg hat sich die Blue-Train-Wette bei Motorsportliebhabern zu einer Art Legende entwickelt, was es schwierig macht, zwischen romantischer Fiktion und tatsächlichen Fakten Unterscheidungen zu treffen. Immer wieder stellt sich beispielsweise die Frage, ob es wirklich zu einer echten Wette gekommen ist. Barnato selbst äußerte sich später beispielsweise zu dem Thema und gab zu Protokoll, dass er lediglich auf eine Aufforderung in einer Zeitung der Cote d’Azur reagiert habe. Einen tatsächlichen Wetteinsatz habe es nicht gegeben. Und auch die Behauptung vieler Briten, dass die Veranstalter des Pariser Autosalons die Firma Bentley aufgrund der erlittenen Schmach auslud, dürfte eher in das Reich der Legenden als der Wahrheit gehören. Für Bentley und die britische Automobilindustrie wird die Blue-Train-Wette jedoch trotzdem immer ein wichtiger Bestandteil der Geschichte bleiben. Abenteurer wie Woolf Barnato waren es, die im entscheidenden Maße zum weltweiten Erfolg des Autos beigetragen haben.